Paulo Freire Re-invented by H.P.Gerhardt

 

Heinz Peter Gerhardt 

Heiner Zillmer 

Massaker im Süden Israels/ „Vernichtung der Hamas“ im Gazastreifen: Wiederholen sich Katastrophen?
Ein befreiungspädagogischer Aufriss*?

In seinem epochemachenden Werk „Pädagogik der Unterdrückten“ schrieb Paulo Freire (1971: 37):

“Mit der Schaffung von Unterdrückungsverhältnissen hat die Gewalt bereits begonnen. Noch nie in der Geschichte wurde die Gewalt von den Unterdrückten initiiert. Wie könnten sie die Initiatoren sein, wenn sie selbst das Ergebnis von Gewalt sind? (….) Es gäbe keine Unterdrückten, wenn es nicht zuvor eine Situation der Gewalt gegeben hätte, um ihre Unterwerfung zu begründen. Die Gewalt wird von denen initiiert, die unterdrücken, die ausbeuten, die andere nicht als Personen anerkennen – nicht von denen, die unterdrückt, ausgebeutet und nicht anerkannt werden.” Freire präzisiert aber klar, „Soll dieser Kampf (um Befreiung, d. V.) einen Sinn haben, dann dürfen die Unterdrückten bei ihrem Versuch, ihre Menschlichkeit wiederzugewinnen (als Mittel, um sie zu schaffen), nicht ihrerseits Unterdrücker der Unterdrücker werden, sondern sie müssen vielmehr die Menschlichkeit beider wiederherstellen. Das also ist die große humanistische und geschichtliche Aufgabe der Unterdrückten: sich selbst ebenso wie ihre Unterdrücker zu befreien.“ (S. 22)

 

Wie können wir zu dieser Aufgabe beitragen, vor dem Hintergrund zweier Kriegsparteien, die jeweils für sich reklamieren, ‚Befreiungsbewegung‘ zu sein?

 

Um 1800 lebten etwa 5000 Menschen jüdischen Glaubens in Palästina. Eine verstärkte jüdische Migration nach Palästina aufgrund von Pogromen in Osteuropa Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich im 20. Jahrhundert vor, während und nach dem Holocaust ließ diese Zahl kontinuierlich anwachsen.

 

Diese Migration geschah bis zum ersten Weltkrieg in ein Gebiet unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches in Rahmen der ersten

“Alija” (Hebräisch: Aufstieg/ Auswanderung) weitgehend friedlich. In Verhandlungen mit den zionistischen Führern der Zeit wurden sogar Privilegien gewährt, wie zum Beispiel die Erlaubnis hebräische Schulen zu öffnen und eine jüdische Miliz zu bilden.  Erst nach Ausbruch des 1. Weltkrieges und nach der 2. Alija, der “Alija Bet” (1934 – 1948), wurden die jüdische Einwanderung vermehrt als eine feindliche und subversive Bewegung angesehen, deren territoriale Ansprüche sogar die Unterstützung einer Großmacht gefunden hatten:  In der Balfour Erklärung von 1917 erklärte sich Großbritannien mit dem Ziel der Zionisten einverstanden, in Palästina eine nationale Heimstatt für Juden einzurichten.

 

Im Jahre 1897 hatte es auf den ersten Zionisten Kongress  bereits Diskussionen um die Etablierung einer jüdischen Staatlichkeit in Palästina gegeben. Die Zionisten wollten sich von der Unterdrückung in ihren Diaspora Staaten, insbesondere Deutschland (Hofprediger Adolf Stöcker, Historiker Heinrich von Treitschke z.B.) und Frankreich (Dreyfus Affäre) ‚befreien‘. Denn auch nach der Aufklärung und der so genannten „Judenemanzipation“ dauerte die Unterdrückung an.

 

Die bereits während des ersten Weltkrieges beginnende Neuordnung des Osmanischen Reiches war für die zionistische Bewegung die Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen.

Im Jahre 1918 lebten nach Zählungen der britische Militärregierung 573.000 Araber (davon 10 % Christen) und 66.000 Juden (circa 10,3 % der Gesamtbevölkerung) in Palästina. 1936 hatte sich das Verhältnis nach massiver Einwanderung aufgrund des Aufstiegs des Nationalsozialismus bereits deutlich verändert: 955.000 Araber (davon circa 12 % Christen) und 370.000 Juden, 27 % der Gesamtbevölkerung (Philipp 2008). Diese Gemengelage führte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zum bewaffneten Kampf zwischen einheimischen Palästinensern und der im Laufe der Jahrzehnte zugewanderten Migranten jüdischen Glaubens. Die bereits para- militärisch organisierten Siedler und Neuankömmlinge gewannen bei diesen Auseinandersetzungen zusehends die Oberhand und die Vertreibung der arabischen Bevölkerung beschleunigte sich. Sie ging als „Nakba“ (Arabisch: Katastrophe) in die palästinensische Geschichtsschreibung ein. Sie dauert bis heute an. Mit dem fünften Gaza Krieg beschleunigt sie sich zurzeit.

 

Eigentlich sah der Teilungsplan der Vereinigten Nationen von November 1947 eine Zweistaatenlösung für Palästina vor: Zwei Staaten verbunden entweder durch eine Wirtschaftsunion oder im Rahmen eines Bundesstaates mit einem arabischen und jüdischen Teilstaat.  Im Mai 1948 erfolgte dann jedoch sehr schnell die israelische Staatsgründung. Nach dem Ersten Arabisch – Israelischen Krieg, der daraufhin ausbrach, wurden an die 700.000 Palästinenser staatenlos. An die 40 % des von der UN eigentlich für die Palästinenser vorgesehenen Gebiete wurden vom neu gegründeten Staat Israel annektiert.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt kann man also von einer systematischen Unterdrückung der Palästinenser durch Organe des jüdischen Staates sprechen. Der Erfahrungsraum der Palästinenser in Bezug auf diesen Staat, seine Verwaltung, sein Militär, seine Gerichte und insbesondere seiner weiterhin sich ausbreitenden messianischen, teilweise sozialistischen Siedlergemeinschaften ist einer der fortschreitenden Unterdrückung und der Einengung des Lebensraumes der einheimischen Bevölkerung. Auch die im israelischen Staatsgebiet lebenden Palästinenser, israelische Staatsbürger, wurden und werden einem diskriminatorischen Rechtssystem unterworfen (Bard 2023).

 

Die einheimischen Palästinenser, sei es während des Osmanischen Reiches sei es während der Zeit des britischen Mandatsgebiets, schufen erst spät eigene zivile und militärische Organisationen, um gegen die zunehmende Einengung ihres Lebensraums Widerstand zu leisten. Ein staatlich verfasstes Verwaltungsgebiet Palästina existierte im Osmanischen Reich nicht. Erst die britische Militärverwaltung richtete das Mandatsgebiet Palästina ein. Und erst 1923 wurden die Grenzen Palästinas von den Siegermächten des ersten Weltkrieges festgelegt.

Die heute bekannteren zivilen, politischen und militärischen Organisationen auf Seiten der arabischen Bevölkerung (PLO und Hamas) und ihre historischen Vorläufer waren allesamt nicht in der Lage, aus eigener Kraft eine eigene Staatlichkeit zu entwickeln. Die heutige palästinensische Autonomiebehörde ist die vorläufige Selbstverwaltung der Palästinenser in den Gebieten, Westjordanland und Gazastreifen. Sie ist aus den Friedensverhandlungen (ab 1993) zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO) in Oslo hervorgegangen. Sie hat nur begrenzte Kompetenzen und Souveränität, die von Israel kontrolliert und seit Jahren immer mehr eingeschränkt werden. Einen eigenen Staat Palästina hat die PLO 1988 in Algier (!) ausgerufen (Hauptstadt Jerusalem). Er umfasst das gesamte von Israel seit 1967 besetzte Gebiet. Dieser Staat wird von 138 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannt. Deutschland tat dies nicht. Es pflegt aber offizielle Beziehungen zur Autonomiebehörde im Range eines Botschafters, der in der deutschen Botschaft in Tel Aviv (!) residiert.

 

Flugzeugentführungen, Attentate, kriegerische Auseinandersetzungen und zuletzt das Gemetzel vom 7. Oktober 2023 der “Hamas” (Arabisch: Begeisterung, Kampfgeist) im Süden Israels sind historische und aktuelle Versuche, die Aufmerksamkeit für das Schicksal der Araber in diesem Gebiet aufrecht zu erhalten. Wut und Hass auf Israel und seine Bewohner kennzeichnen diese Aktionen. Sie lösten und lösen weltweit Entsetzen aus und verstärken die Repression der Staats – und Besatzungsgewalt. Auf der israelischen Seite verhärteten sich insbesondere nach dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses die Positionen. Der Konflikt wurde seitdem nur noch „verwaltet“.

Mitglieder der heutigen, teilweise rechtsradikalen Regierung Israels, insbesondere die Parteien der Siedlergemeinschaften, sprechen offen von der Vertreibung der “Feinde Israels“ aus dem israelischen Staatsgebiet und aus den 1967 von Israel besetzten palästinensischen Restgebieten. “Eretz Israel” soll geschaffen werden.

 

„Eretz Yisrael“ (Hebräisch: Erde Israels) und ein Islamischer Staat in den Grenzen des ehemaligen britischen Mandatsgebietes, das „Staats“-Ziel der Hamas, bzw. ein PLO Staat Palästina, schließen sich gegenseitig aus. Ohne Verständigung wird es nicht gehen, wenn sich die Katastrophen der jeweiligen nationalen Geschichten nicht in Dauerschleifen wiederholen sollen,

 

Das menschliche Leben im hoch gerüsteten jüdischen Staat ist hoch gefährdet, wie das abscheuliche Massaker vom 7. Oktober zeigt. Er, seine Bürger und Menschen jüdischen Glaubens weltweit werden wegen seiner Art der „Verwaltung der Frage“ (Ehud Barak) einer eigenen Staatlichkeit der Palästinenser auch außerhalb seiner Grenzen angegriffen. Die Art und Weise der Wahrnehmung des Selbstverteidigungsrechts durch die jetzige israelische Regierung nach dem 7. Oktober 2023 scheint die prekäre Sicherheitslage des Staates, seiner Bewohner und jüdischer Bürger weltweit eher zu verschärfen als zu verringern.  Tausende von Diaspora- Palästinenser weltweit – und noch mehr Gleichgesinnte in diesen Staaten – versuchen durch öffentliche Demonstrationen die Frage der Staatenlosigkeit und die Verweigerung Rückkehrrechts der Palästinenser in die Heimat zu thematisieren.

 

Die Befreiungspädagogik ist eine Theorie und Praxis, die zuvörderst, von dem brasilianischen Juristen und Pädagogen Paulo Freire entwickelt wurde. Sie zielt darauf ab, Unterdrückte zu befähigen, sich kritisch mit ihrer gesellschaftlichen Situation auseinanderzusetzen. Sie basiert auf folgenden Grundannahmen:

  • Die Unterdrückten sind nicht Objekte, sondern Subjekte ihrer eigenen Geschichte.
  • Die Unterdrückung ist nicht nur ein ökonomisches oder politisches Phänomen, sondern auch ein kulturelles und psychologisches.
  • Alle vier Bereiche müssen im pädagogischen und politischen Prozess der Befreiung berücksichtigt und bearbeitet werden.

Diese alternative pädagogische Umgangsform beteiligt die Unterdrückten am Prozess der Befreiung, macht sie zu Autoren. Sie basiert auf der “problemformulierenden Bildung”, bei der die Lehrer und die Schüler gemeinsam die Probleme ihrer Realität erforschen, analysieren und tendenziell in einer ersten Lösung erproben. Dabei nutzen sie die „Generativen Themen und Wörter”, die die Schlüsselbegriffe und -fragen ihrer Lebenswelt darstellen. Dialog ist die präferierte Auseinandersetzungsform mit den angesprochenen Problemen. Ein Prozess der Bewusstseinsbildung wird in Gang gesetzt, der die Unterdrückten dazu befähigt, ihre eigene Situation zu erkennen, zu kritisieren und zu verändern. Dieser Prozess wird als die “Praxis der Freiheit” bezeichnet, die aus der Dialektik von Reflexion und Aktion besteht. Eine Selbstermächtigung findet statt. 

Zu diesem Prozess der Selbstermächtigung gehört die praktische Einübung in das Verstehen und Praktizieren von Vielfalt. Als Strategie gegen die zunehmenden Tendenzen zu autoritärem Denken und der Verfestigung autoritärer Machtstrukturen. Diesen Entwicklungen liegt etwas Gemeinsames zugrunde, nämlich die Reduktion von Vielfalt auf wenige einfache Erklärungsmuster und autoritäre Machtstrukturen. In der extremsten Form geht es um die Herstellung von Ein-eindeutigkeit, also um den Ausschluss jedweden Zweifels an der Wahrheit einer Aussage. Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer hat diese Entwicklungen untersucht und den weltweiten Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt beschrieben (Bauer 2018). Über lange Zeiträume der Geschichte waren die großen Kulturen mit ihren Religionen durch Vielfalt und Toleranz charakterisiert. Ein besonderes Merkmal ist dabei die Fähigkeit, Ambivalenzen in Texten und im Leben zu ertragen oder sogar zu fördern. Das galt auch für den Islam, bis an die Schwelle der Moderne, etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts. In Konfrontation mit dem wirtschaftlich und militärisch überlegenen Westen, sahen sich die islamischen Gesellschaften gedemütigt und in die Enge getrieben. Man sah eine Lösung in dem Versuch, den Westen zu kopieren. Und das zu einer Zeit, als der Westen selbst auf einem Tiefpunkt seiner Ambivalenz-Toleranz war, in Form von Ideologien, die das 20. Jahrhundert weltweit in einem Desaster werden ließ. Die vom Westen übernommenen Muster verwandelten die vielfalt-trächtigen Texte des Islam in politisch Ideologien mit ein-eindeutigen Welterklärungen und strikt autoritären Strukturen. Es entstand der politische Islam, auch Islamismus genannt,

Hier schließt sich der Kreis der Argumentation. Wie schaffen wir es, mit Prinzipien dialogischer Bildungsprozesse die Vereindeutigung der Welt mit ihren autoritären Verunstaltungen aufzuheben?

In ihrem Grundansatz war die Zionistische Bewegung eine Befreiungsbewegung, die auf die Selbstermächtigung der marginalisierten Diaspora-Juden abzielte. Einige Siedlergemeinschaften organisierten sich ab 1910 in so genannten Kibbuzim mit Gemeineigentum und basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen. Politisch vertraten sie aber einen nationalistisch geprägten Sozialismus. Forderungen nach einer Sozialistischen Föderation im Nahen Osten blieben bis heute die Ausnahme.

 

In der demokratisch verfassten, israelischen Zivilgesellschaft gibt es eine Vielzahl von Bewegungen, die auf einen Dialog mit den Palästinensern hinarbeiten und deren Unterdrückung und Vertreibung thematisieren, die die Politik der jetzigen rechtsradikalen Regierung ablehnen. Einige von Ihnen arbeiten auch mit den Freireschen Kategorien (z. B. Tapper/ Kroll-Zeldin 2015:71-88).

In den besetzten Gebieten Westjordanlandes regt sich Widerstand gegen die absolutistische Herrschaft der augenblicklichen Fatah Regierung, im diktatorisch von der Hamas regierten Gazastreifen weniger, bzw. ist darüber weniger bekannt. Samir Al-Botmed z. B.  ist eine Kollegin an der Birzeit Universität, die Freires Konzepte der Volksbildung, der Bewusstseinsbildung und der Kultur des Schweigens mit ihren Studenten und anderen Gruppen diskutiert und in der dortigen Wirklichkeit versucht zu erproben.

In Deutschland leben etwa gleich viel Israelis und Menschen jüdischen Glaubens wie Palästinenser, nach Schätzungen und Statistiken, jeweils zwischen 90 und 120.000 Personen. Deutschland bot und bietet ihnen Schutz vor Verfolgung in ihren Herkunftsländern und zumeist größere ökonomische Entfaltungsmöglichkeiten. Beide Personen Gruppen sind in unterschiedliche Maße in die deutsche Gesellschaft integriert. Seit dem 7. Oktober sind beide verstärkten Aggressionen ausgesetzt, weil sie entweder mit der israelischen Besatzung – und Vertreibungspolitik gleichgesetzt werden, beziehungsweise als Unterstützer des Massakers vom 7. Oktober und anderer historischer Terroraktionen angesehen werden.

Spätestens die Vernichtungspolitik der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland demonstrierte vor aller Welt die Berechtigung der zionistischen Bewegung. Sie war auch der geschichtliche Hintergrund für die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina. Die Shoah (Hebräisch: Katastrophe), der systematische Völkermord an 6 Millionen Juden, war ein vorher unvorstellbares Verbrechen, das die Welt erschütterte und das Recht der Juden auf einen sicheren Zufluchtsort „legitimierte“ (UN Palästina Resolution von 1948). Die historisch konkrete Verwirklichung dieser Resolution geschah allerdings hauptsächlich militärisch und auf Kosten der palästinensischen Bevölkerung. Sie wurde von den britischen Mandatsverwaltung, den Vereinten Nationen, teilweise von den gegen Israel Krieg führenden arabischen Staaten, den Zionisten und von den meisten israelischen Regierungen übergangen, ignoriert und eben militärisch bekämpft.

 Die Palästinenser wurden somit zu Opfern der Opfer, die ihrerseits zu Täter wurden“ schreibt Grossmann (2006: 23) zur Mit – ‚Täterschaft’ der Bewohner Palästinas jüdischen Glaubens.

Memmi (1967) und Fanon (1968) zitierend beschreibt Paulo Freire (1999: 44/45) das Phänomen der Ausübung von Unterdrückung durch die Führung und Mitglieder an der Macht kommenender nationalistischer Befreiungsbewegungen als Verinnerlichung der Unterdrückungsmechamismen durch die vorher selbst Unterdrückten. Das problemformulierende gemeinsame Lernen und die Analyse der eigenen Lebenssituation,

  • wie es in den von Freire angeleiteten brasilianischen Alphabetisierungkampagnen verwirklicht wurde,
  • wie es die von Ramon Flecha (Spanien) inspirierten Lesezirkeln kennen,
  • wie es die „gemeinsame Projekte“ Deweys (USA) in Pädagogik und Politik praktizieren,

sind dialogische Prinzipien, die zur Erkennung und Überwindung dieses Verinnerlichungsprozesses beitragen können. Gruppen dieser Art, die eine solche Arbeit vor Ort leisten, gibt es sowohl in Israel, Palästina, Ägypten, Jordanien, Syrien und im Libanon. Mit ihnen gilt es auch von deutscher Seite zusammenzuarbeiten.

Heute in Deutschland lebende Menschen haben eine besondere Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens. Denn gerade auf deutschen Boden erlebten wir, wie die anscheinend zivilisierte Ordnung der Weimarer Republik, eine Ordnung, die auf Respekt, Toleranz und Menschenrechten beruhte, jederzeit bedroht, ja sogar ohne größeren Widerstand beseitigt werden konnte.

Der dünne Firnis der Zivilisation, der Mitmenschlichkeit war angesichts der Grausamkeit und Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland von 1933 bis 1945 dünner als gedacht. Bereits im Jahre 1916 stellte Rosa Luxemburg angesichts der Kriegsgräuel des Ersten Weltkrieges die Frage: „Sozialismus oder Barbarei“?

 30 Jahre später gab es eine zweite Antwort: „Die Barbarei ohne Grenzen“ (Ian Kershaw).

Staat und Zivilgesellschaft gerade in Deutschland müssen alles tun, damit Menschen jüdischen Glaubens dort und anderswo ohne Angst vor Verfolgung leben können. Das Gleiche gilt im Sinne Grossmanns auch für die andere Opfergruppe, die Palästinenser, die aufgrund der geschichtlichen Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges heute in der Diaspora leben müssen. Eine größere Anzahl (etwa 100.000 von 6,5 Millionen) davon in Deutschland.

Islamophobie in Bezug auf die Bewohner Deutschlands islamischen Glaubens, muss genauso bearbeitet werden wie der Antisemitismus und Hass auf Israel und seine Bewohner. Gerade in Deutschland mit seinem festsitzenden Antisemitismus – nach Erhebungen und Schätzungen bei 15 bis 20 % der Bevölkerung – sollte es sich verbieten, sich selbst entlastend von importiertem Antisemitismus zu sprechen.  Die Formen der Bearbeitung von Islamophobie und Judenfeindlichkeit sind bereits vielfältig. Sie sollten staatlicherseits weiter unterstützt werden.  Eine stärkere Vernetzung der Zivilgesellschaften Deutschlands mit denen aus Israel und dessen arabischen Nachbarstaaten ist notwendig. Polizeiliche, strafrechtliche Maßnahmen sollten das letzte Mittel der Wahl sein.

 

 

Mitchell Bard (2023), Understanding Israel’s Nation State Law. In: Jewish Virtual Library aufgerufen am 1.12.2023 unter https://www.jewishvirtuallibrary.org/understanding-israel-s-nation-state-law

 

Thomas Bauer (2018), Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart, Reclam Nr. 19492

 

Nadia Ben-Youssef und Sandra Samaan Amaan Tamari (2018), Enshrining Discrimination.In: Journal of Palestine Studies

Vol. 48, No. 1 (189) 73 -87, SPECIAL ISSUE: 1948 AND ITS SHADOWS (Autumn 2018) Taylor & Francis, Ltd.

 

Frantz Fanon (1968), The Wretched of the Earth. New York: Groove

 

Paulo Freire (1971), Pädagogik der Unterdrückten. Stuttgart: Kreuz Verlag.

 

Paulo Freire (1999), Pedagogy of the Oppressed, New York: Continuum

David Grossmann (2006), Löwenhonig. Der Mythos von Samson.  Berlin: Berlin Verlag.

Albert Memmi(1967), The Coloniser and the Colonised, Boston: Beacon

 

Thomas Philipp (28.03.2008), Die Palästinensische Gesellschaft zu Zeiten des Britischen Mandats, aufgerufen am 24.11.2023 unter

https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/israel/44991/die-palaestinensische-gesellschaft-zu-zeiten-des-britischen-mandats/#:~:text=Nach%20Ende%20des%20Ersten%20Weltkrieges,fiel%20Palästina%20unter%20britische%20Herrschaft

 

Aaron J. Hahn Tapper/ Oren Kroll-Zeldin (2015), Paulo Freire and the Israeli-Palestinian Conflict: The Pedagogy of a Social Justice and Experiential Educational Program in Israel and Palestine. In: Revista Internacional de Educacion para la Justicia Social, 4(1)71-88.

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